Irgendwann, Mitte der Neunziger wurde ich durch eine Plattenbesprechung aufmerksam auf Flugschädel. Eine glückliche Fügung in meinem Dasein als Musikliebhaber, wie ich auch noch fast zwei Jahrzehnten später finde. Die schlicht mit dem Bandnamen betitelte Scheibe, zeigte mir damals wie heute, dass Kreativität immer noch am besten abseits der ausgetreten Pfade gedeiht. Irgendwo in einer Schnittmenge zwischen Metal, Industrial, Crossover und BigBeat haben Flugschädel ihre Nische gefunden. Aber was die Norddeutschen so auszeichnet, ist eben, dass sie sich seinerzeit eben einen Dreck um die Konventionen eines Genres scherten.
Leider findet man heute nicht allzu viele Informationen über die Band und ihre Protagonisten, bzw. ist es der Zeit geschuldet, dass ihr kreatives Schaffen neben ihren Tonträger-Veröffentlichungen nicht allzu üppig dokumentiert ist. Eigentlich sehr schade. Mir war es leider nicht vergönnt, eine ihrer Darbietungen live zu verfolgen, aber Zeitgenossen berichten von multimedialen Darbietungen, die beim Zuhörer und -Seher offensichtlich einen tiefen Eindruck hinterlassen haben.
>> Liveauftritte von Flugschädel haben zumeist eher den Charakter einer Kunstperformance; so gestaltete sich beispielsweise der Flugschädel-Auftritt 1994 in der Roten Flora in Hamburg dergestalt, dass Udø und Øle in lange Stoffbahnen gehüllt und mit von Udø geschweissten riesigen Monsterköpfen aus Stahl auf zwei Stühlen saßen und zu Playback ihrer Musik die Texte der Stücke rezitierten, während Jørch mit Projektionen und Multimedia-Effekten für die visuelle Bestrahlung sorgt. Dies bringt Flugschädel auch den Ruf als Kultband bzw. der "Neubauten der 90er mit norddeutschem Humor" ein. << (Indiepedia)
Aber versuchen wir doch einmal kurz, den Weg von Flugschädel nachzuzeichnen:
Um 1990 fanden sich Udø (alias Udo Beu), Øle (alias Ole Wagner), Jørch (aka Jörg Schmidt aka Projörktor) in Flensburg zusammen, um das Projekt Flugschädel zu betreiben. Man experimentiert mit Samplern, kombiniert sägende Gitarrenriffs und treibende Beats und schafft den Sound, der so einzigartig ist, dass es bis heute nichts vergleichbares gibt. Das ebenfalls in Norddeutschland beheimatete Plattenmeister Label ist bekannt dafür, ausgefallenen, schrägen Bands eine Heimat zu geben. Igendwie passt es da, dass Flugschädel 1994 dort ihre erste LP veröffentlichen. Die Vinyl-Erstauflage wird in Baustahlplatten verpackt und mit Gummiband umwickelt. Dem aufwendigen äusseren Erscheinungsbild wird das Erstlingswerk aber auch musikalisch voll und ganz gerecht. Songs wie "Apfelkrautsalami" (Slayers Raining Blood-Riff mit HipHop-Beats und Texten von "Wurst-Dieter" vom Wochenmarkt) machen die Band auch einem grösseren Publikum bekannt. Daneben finden sich weitere Perlen, wie "Jubiubiä", "Larry lebt" und die "Ösophagusvaritzen". Die Scheibe machte riesige Lust auf mehr. 1995 erscheint schliesslich die EP "Othniel trug Flugschädel", auf der die Gruppe mit orientalischen Sounds und Breakbeats experimentiert. Die Linie des Vorgängeralbums wird konsequent fortgestzt.
>>Flugschädel, genervt von allem Hintergründigen, Künstlerischen, Perfekten, Gestylten, ..., versuchten nicht die Dimensionen des progressiven Dilletantismus zu verlassen. >> (Flugschädel auf MySpace)
Hmmm... auf jeden Fall erscheint 1996 das vorerst letzte akustische Lebenszeichen unter dem Namen Boksch. "Ocker 1-8" wird wieder von Plattenmeister verlegt, ausser dem Hinweis "Boksch. ist Flugschädel live" beinhaltet die Scheibe keine weiterführenden Informationen. Somit hat sich's ausgeschädelt. Schade, aber nun ist das Kapitel auch irgendwie organisch abgeschlossen. Und...besser hätte es ja eigentlich auch nur noch schwer werden gekonnt. Es passt also, wenn auch mit etwas Wehmut verbunden.
Eine Zeit lang erscheinen noch diverse Nachfolgeprokekte. Ole Wagner produziert 1996 mit Gunpowder Elektrick das Album "Festplatte" (mit Eilert Fuhrmann und DJ Koze von Fishmob), Jörg Schmidt bringt im selben Jahr als Projörktor die Easy Listening-Scheibe "Stereo Cocktail" raus, dann verlieren sich die Wege weitgehend.
Udo Beu hat mittlerweile den Nachlass der Flugschädel geordnet und diverse Internetpräsenzen stellen umfangreiches Material zur Verfügung.
Flugschädel auf Indiepedia
Flugschädel bei MySpace
Flugschädel auf lastfm
(DK)